Am 05. November 2021 gegen 12:53 Uhr Brüsseler Zeit stand die Zeit für einen winzigen Augenblick still, denn in diesem Augenblick ereignete sich ein Meilenstein in Sachen Geschlechterdiversität und Geschlechtergleichstellung im europäischen Eisenbahnsektor. Nach drei Jahren zäher Verhandlungen und Covid-19 bedingter Einschränkungen unterzeichneten in Brüssel die Vertreter der ETF und der GEB das Abkommen «Women in Rail». Das Abkommen an sich basiert auf 8 Politikbereichen (Artikel 5 des Abkommens):

1. Gleichstellungspolitik im Allgemeinen

2. Ausgewogene Vertretung Frauen und Männern

3. Einstellung

4. Vereinbarkeit Privatleben von Beruf und Privatleben

5. Laufbahnentwicklung

6. Lohngleichheit und geschlechtsspezifisches Lohngefälle

7. Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz und Arbeitsumfeld

8. Maßnahmen gegen sexuelle Belästigung und Sexismus

In ihrer kurzen Ansprache unterstrich eine sichtlich bewegte, Maria Cristina Marzola, Vize-Präsidentin der ETF-Rail, die übrigens eine der, um nicht zu sagen die treibende Kraft in diesem Dossier war, nochmals diese 8 Punkte aus dem Artikel 5, da sie die ganze Philosophie des WIR-Abkommens in sich tragen. Nun sollen sämtliche Mitgliedsunternehmen der GEB innerhalb von 12 Monaten nach Unterzeichnung dieser Vereinbarung eine Strategie für Geschlechtergleichstellung und Geschlechterdiversität festlegen. Nach 24 Monaten soll dann eine Bilanz der Umsetzung der vereinzelten Strategien gezogen werden.

Mit einem überzeugten «We did it!», unterstrich Sabine Trier, die Stellvertretender Generalsekretär, Leiter Politik und Gleichstellung General, dass es in der Tat 15 Jahre gedauert hat, bis Arbeitgeber und Arbeitnehmer auf ein verbindliches Abkommen einigen konnten und mit der Unterschrift des Abkommens es nun endlich vollbracht ist. Denn bei diesem «Women in Rail»-Abkommen handelt es sich um ein autonomes Abkommen, gemäß Artikel 155 AEUV. Das bedeutet, dass die Unterzeichnerparteien, sprich die Mitgliederunternehmen der GEB, den verbindlichen Charakter der Bestimmungen dieses Dokuments bekräftigen. Sie verpflichten sich, diese Vereinbarung aktiv zu fördern und dafür zu sorgen, dass ihre Mitglieder auf Unternehmensebene Maßnahmen ergreifen, um sie in allen ihren Teilen umzusetzen. Ihrerseits wird die ETF diese Vereinbarung und natürlich auch die darin enthaltenen Grundsätze und Werte in ihren Organisationen und unter ihren Mitgliedern fördern und umsetzen. Genau wie Maria Cristina Marzola, unterstrich Sabine Trier nochmals, dass die vergangenen Anstrengungen, Diskussionen, Rückschläge und auch manche Frustrationen der vergangenen Monate und Jahre es wert waren, um nun zu einem verbindlichen Abkommen gelangt zu sein, welches europaweit gilt.

Wie es in der Präambel des Abkommens beschrieben steht, ist die Geschlechterdiversität eine Quelle der Bereicherung und der Leistungssteigerung für ein Unternehmen. Sie trägt zu besseren Arbeitsbedingungen für alle und zu einem respektvollen Umgang unter den Beschäftigten bei.

Doch es stimmt genauso, dass Stereotype im Arbeitsumfeld, Diskriminierung, (sexuelle) Belästigung und unangemessenes Verhalten der Arbeitsaufnahme oder dem Verbleib von Frauen in Eisenbahnunternehmen entgegenstehen. Mit dieser autonomen Vereinbarung wollen die Unterzeichnerparteien mehr Frauen für den Eisenbahnsektor gewinnen und die richtigen Rahmenbedingungen schaffen, um sie in den Unternehmen und im Sektor zu halten. Geschlechtergleichstellung und Geschlechterdiversität sind Themen, die von Unternehmen und Gewerkschaften gleichermaßen ernst genommen werden müssen.

Auch wenn der scheidende Präsident des Sozialdialog Schiene, Mathias Rohmann, von einem krönenden Abschluss gesprochen hat, sollte man bei aller Zufriedenheit nicht vergessen, dass der Punkt der Gewalt und der (sexuellen) Belästigung am Arbeitsplatz weiterhin ein Thema eines künftigen Arbeitsprogramms im Sozialdialog Schiene sein wird.

Doch genau wie er und sein Nachfolger auf dem Präsidentenposten des Sozialdialog Schiene, Giorgio Tuti, es ausdrückten, am 05. November 2021 fiel mit der Unterzeichnung des WIR-Abkommens ein gutes Signal für den Eisenbahnsektor. Der Beweis, dass man als Sozialpartner Verantwortung übernehmen und handeln kann, ist erbracht.

Doch die Arbeit geht weiter, packen wir es an!

 

Mylène BIANCHY

 

ETF: European Transport Workers Federation

GEB: Gemeinschaft der Europäischen Bahnen

AEUV : Abkürzung für Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Quellenachweis: „Europäische Sozialpartnervereinbarung über Frauen im Eisenbahnsektor zwischen der Gemeinschaft der Europäischen Bahnen (GEB) und der Europäischen Transportarbeiter-Föderation (ETF)“