Die Wahlbeteiligung lag bei 50,62 %, was besser war als 2014 und als positiv eingestuft werden muss. Die 751 Sitze wurden vergeben und es haben sich 7 Fraktionen gebildet, aus denen die EVP als stärkste Fraktion mit 182 Sitzen hervorgeht. Im Vorfeld haben die politischen Parteien, Kandidatinnen und Kandidaten für das Spitzenamt des Kommissionspräsidenten vorgeschlagen. Dieses Prozedere wurde erstmals 2014 bei der
Wahl des jetzigen Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker angewandt. Jean-Claude Juncker wird aber höchstwahrscheinlich der erste und letzte Kommissionspräsident sein, der über dieses Verfahren bestimmt wurde. Denn die Tinte auf dem Dokument mit den vorgeschlagenen Spitzenkandidaten (innen) war noch nicht trocken, da wurden schon neue Namen in der Öffentlichkeit diskutiert. Jede Partei und mehrere Länder nannten Namen und potentielle Anwärter. Sogar unser Staatsminister Xavier Bettel stand im Fokus für einen Posten,
doch wie in der Vergangenheit winkte er freundlich ab, mit der Begründung er wäre sehr zufrieden mit seinem jetzigen Job … Kommt mir irgendwie bekannt vor. Wenn es nach dem EU-Parlament geht, wird der Spitzenkandidat auch Kommissionspräsident. Dem gegenüber stehen die EU Staats- und Regierungschefs, die einen anderen Kandidaten vorschlagen wollen, einen mit dem sie leben und arbeiten können. Einer der ihnen passt.

Lasset die Spiele beginnen!

Bei einem EU-Sondergipfel sollten dann Lösungen gefunden werden. Frankreichs Präsident kritisierte nach dem Gipfel "das Versagen" der EU-Staats- und Regierungschefs, da sie sich nicht auf Personalien geeinigt hatten. Wegen der Pattsituation werde ein Bild von Europa vermittelt, "das nicht seriös ist" meinte er. Der italienische Ministerpräsident beschrieb die Lage als: "Es ist ein bisschen kompliziert".

Aber warum ist die Lage so kompliziert?

Die Mehrheiten haben sich im EU-Parlament verschoben. Die beiden großen Fraktionen, die Christdemokraten und die Sozialdemokraten
haben Verluste eingefahren und ihre absolute Mehrheit verloren. Sowohl die Liberalen, als auch die Grünen haben zugelegt, was bedeutet, dass man die Zustimmung einer dieser Fraktionen braucht, um einen Kandidaten zu bestimmen. Alle Fraktionen die den neuen Kandidaten unterstützen, wollen auch ein Stück vom angebissenen Kuchen haben. Mit den Rechtspopulisten, die in verschiedenen Ländern (Frankreich, Italien, Großbritannien, …) deutlich zugelegt haben, will man nicht zusammenarbeiten. Was hoffentlich auch so bleibt!

Was haben wir gewählt?

Diese Frage können wir uns stellen. Doch sie zu beantworten ist nicht so einfach. Wir haben ein EU-Parlament gewählt was einen im voraus festgelegten Spitzenkandidaten zum EU-Kommissionspräsident bestimmen soll. Diese(r) Spitzenkandidat( in) soll nun ein(e) andere(r) sein? Eigentlich dürfte das EU-Parlament diese(n) Kandidaten(in) nicht mittragen, denn er (sie) wurde nicht gewählt. Die Wählerinnen und Wähler der EU-Staaten werden hier wieder einmal für dumm verkauft. Zuerst werden Köpfe und Wahlprogramme vorgestellt, diese Köpfe werden dann gewählt und nach den Wahlen wird alles über Bord geschmissen und wieder bei Null angefangen. Hiermit kann man nicht einverstanden sein. Das Bild der Demokratie bröckelt. Diesmal ist die Wahlbeteiligung noch gestiegen aber ob das, beim nächsten Mal im Jahre 2024
auch so sein wird, steht in den Sternen. Ganz klar muss man sich vor Augen halten 50,62 %, das sind knapp die Hälfte der 400 Millionen Wählerinnen und Wähler.

Was viele Politiker der großen Parteien nicht verstanden haben: Schon bei diesen 50,62% sind viele Proteststimmen abgegeben worden. Viele sind mit dem System, den diversen Bestimmungen und Regeln nicht mehr einverstanden und haben jetzt schon ihre Stimmen an die immer stärker werdende Rechtsszene verschenkt. Was sicher keine Lösung ist!

Steve Watgen

Wir müssen Europa verändern, damit es wirksamer wird, indem wir auf die Bedenken der Bürger eingehen und auf all dem aufbauen, was wir bereits erreicht haben.
Antonio Tajani, Präsident des Europäischen Parlaments